Mitten im Nirgendwo
Freitag, 26. April
Der erste Tag auf der Farm. Die tiefstehende Sonne blinzelt vorsichtig durch´s Fenster, als ich aufwache. Bin gespannt auf Haus und Umgebung. Zeit für ´n kleinen Rundgang. Yeah, endlich in der Natur!
Kann das bereits von der Kochinsel aus sehen. Der Grund: die rustikale Wohnküche, die in ihrer großzügigen Gestaltung einem Loft gleicht, gibt durch voluminöse Glasfronten zu allen Seiten den Blick frei. Abgesehen von Feuerplatz, Werkstattgebäude, Beet, Gewächshäuschen sowie den Garagen und einigen kleinen Vorratsschuppen sind wir komplett von Wald umgeben. Bäume, soweit das Auge reicht.
Einzige Ausnahme: die gigantische Aussicht zur Stirnseite. Hier eröffnet sich ein Panorama, wie aus dem Bilderbuch. Vom Hügel runter blicke ich über den saphirblauen Francois Lake, hinter dem sich majestätisch eine Bergkette erhebt – über und über besät mit den Wipfeln sattgrüner Nadelbäume. Mir schießen die Tränen in die Augen. Kann mich nicht dagegen wehren. Mein Herz hüpft.
Hier verbringe ich nun also nicht nur ein verlängertes Wochenende oder einen 2-wöchigen Urlaub – nein, hier lebe ich jetzt. Zumindest für einige Monate. Kann mein Glück kaum fassen. Hab mich so lange danach gesehnt, mal abgeschieden zu sein. Doch was das konkret heißt, hab ich mir ehrlich gesagt vorher nie so recht durchdacht. Noch im Laufe desselben Tages soll mir klar werden: befinde mich tatsächlich mitten im Nirgendwo.
Nun ist es so, dass ich mich für gewöhnlich bereits in der Wildnis fühle, wenn ich keinen Cappuccino bekomme (und das ist seit meiner Abreise aus Vancouver definitiv so; im besten Fall bringt mir eine vorsichtige Anfrage einen irritierten Blick ein, der mit Schulter zucken kombiniert ist und ungläubigen Worten wie Was soll das sein?) Aber diesen Maßstab lege ich hier natürlich gar nicht erst an – es gibt ein anderes untrügliches Zeichen dafür, dass ich mich praktisch kurz davor befinde, nicht mehr von dieser Welt zu sein: ich hab kein Handy-Netz.
Das sitzt! Und weil ein Unglück selten allein kommt: Internet kann ich mir gleich ganz abschminken. Falle in eine Art Schockstarre. Als ich langsam wieder zu mir komme, schießt mir die immer selbe Frage durch den Kopf: Wie soll ich so leben? Ohne Kontakt zu Familie und Freunden, ohne Zugang zum Online-Banking, ohne Zugriff auf Seiten zu Reiserouten, Verkehrsmittel, Unterkünfte, Jobbörsen... und letztlich auch ohne Möglichkeit zu bloggen. Muss mich damit auseinandersetzen, dass ich plötzlich unangeschlossen bin. Off-air, out of space, end of announcement!
Sonntag, 28. April
Das Gefühl, abgeschnitten zu sein, beschäftigt mich noch immer. Hätte es mich vielleicht stutzig machen sollen, dass von den Kanadier, denen ich in Vancouver von meinen Reiseplänen erzählt habe, nicht ein Einziger wusste, wer oder was Fraser Lake ist – geschweige denn wo. Hm? Jedenfalls soll dieses Highway-Kaff nun meine einzige Anbindung an die Zivilisation sein. Für die Hundert Seelen, die hier im Umkreis vieler Quadratkilometer leben, ist dieses Örtchen erste Andockstation.
Fraser Lake ist auch so eine staubig-schäbige Infrastrukturinsel für Fernfahrer. Für uns bietet sie aber den Zugriff auf das Nötigste zum Leben. Im Schellrestaurant des Motels gibt es sogar W-Lan. Yes! Yes, we can! Kleiner Wermutstropfen: Der Trip in die „Stadt“, wie mein Farmer sagt, dauert fast eine halbe Stunde mit dem Auto. Logisch, dass er da, wenn möglich, nur 1 Mal die Woche hin möchte. Aber hey, ist besser als gar nichts. Bin wieder im Spiel, ich lebe!
Montag, den 29. April
Nehme mit diesen Aussichten sogar klaglos hin, dass am nächsten Tag unerwartet der Strom ausfällt. Der Wind muss irgendwo einen Baum umgelegt haben, der auf die Leitung gefallen ist. Das passiere hier regelmäßig, erfahre ich, die Reparatur dauere aber höchstens ein paar Tage, manchmal sogar nur ein paar Stunden. Aha.
Schiebe jeden negativen Gedanken beiseite. Wofür braucht ein Ganzer Kerl schon Strom? Das wär doch gelacht! Trotzdem schluckt dann selbst der Naturbursche in mir, als ich checke: Wasser gibt’s genauso wenig. Die Pumpe unten im See ist halt auch auf Saft angewiesen. Zum Glück müssen wir am Ende nur einen Tag lang mit Eimern und Armkraft dafür sorgen, kochen, waschen und spülen zu können. Zumindest vorerst. Bin schon ein Abenteurer.
Übrigens, die Weiten die dieses Land aufweist, beeindrucken mich jedes Mal auf´s Neue. Dass ich nach der ganztägigen Bustour hier hoch – auf der ich praktisch mit 1000 Kilometern Fahrstrecke, Deutschland hätte so gut wie 1 Mal komplett durchqueren können – mich noch immer in der gleichen kanadischen Provinz befinde, hat ich ja schon mal erwähnt. Ein zweites eindrucksvolles Beispiel liegt mir nun mit dem Francois Lake jeden Tag vor der Nase: Dieser ist gut überschaubar eine gute Meile (rund 1,6 Kilometer) breit, dafür aber 86 Meilen lang. Eine Strecke mit der man von Potsdam locker bis nach Magdeburg käme, vielleicht sogar von Potsdam nach Leipzig. Kann das gerade nicht genau prüfen. Vielleicht erinnert sich der Eine oder Andere daran, dass ich eine gefühlte halbe Weltreise von google maps entfernt vor mich her vegetiere.
However, wer sich hier im Wald verläuft, kann schnell mal für immer weg sein. Jedes Jahr gehen hier Dutzende Menschen verloren, ohne dass jemals aufgeklärt werden kann warum bzw. dass ihre Leichen gefunden werden. Mein Reiseführer rät daher, möglichst nicht allein zu gehen. Und wenn doch, Jemandem die ungefähre Route zu hinterlassen. Mach ich! Bei aller Action, die ich hier suche, hab Respekt vor der Wildnis.
Da fällt mir ein, meine so herzzerreißend geschilderte und wunderbar wild anmutende Unangeschlossenheit muss ich leider schon nach den ersten paar Tagen ein wenig relativieren. Grund: Der einwandfreie Satelliten-Empfang für das Fernsehgerät. Schade eigentlich, irgendwie untergräbt das eine spannende Natur-Einsiedler-Geschichte.
Obgleich ich schnell versöhnt bin. Denn auf den über 600 Kanälen finde ich Movie-Channel, die jeden Tag mehrere aktuelle Blockbuster spielen, Sportkanäle, die alle Play-Offs der nordamerikanischen Profiligen ausladend präsentieren und sogar einen Spartensender, der morgen Mittag, das erste Halbfinalrückspiel der Champions-League live überträgt.
Gebe also zu, im Nirgendwo doch noch ´ne Menge von meiner angestammten Lebenswelt mitzubekommen. Nur ein richtig gut gemachter, schaumiger Cappuccino, der fehlt mir hier wirklich.
Der erste Tag auf der Farm. Die tiefstehende Sonne blinzelt vorsichtig durch´s Fenster, als ich aufwache. Bin gespannt auf Haus und Umgebung. Zeit für ´n kleinen Rundgang. Yeah, endlich in der Natur!
Kann das bereits von der Kochinsel aus sehen. Der Grund: die rustikale Wohnküche, die in ihrer großzügigen Gestaltung einem Loft gleicht, gibt durch voluminöse Glasfronten zu allen Seiten den Blick frei. Abgesehen von Feuerplatz, Werkstattgebäude, Beet, Gewächshäuschen sowie den Garagen und einigen kleinen Vorratsschuppen sind wir komplett von Wald umgeben. Bäume, soweit das Auge reicht.
Einzige Ausnahme: die gigantische Aussicht zur Stirnseite. Hier eröffnet sich ein Panorama, wie aus dem Bilderbuch. Vom Hügel runter blicke ich über den saphirblauen Francois Lake, hinter dem sich majestätisch eine Bergkette erhebt – über und über besät mit den Wipfeln sattgrüner Nadelbäume. Mir schießen die Tränen in die Augen. Kann mich nicht dagegen wehren. Mein Herz hüpft.
Hier verbringe ich nun also nicht nur ein verlängertes Wochenende oder einen 2-wöchigen Urlaub – nein, hier lebe ich jetzt. Zumindest für einige Monate. Kann mein Glück kaum fassen. Hab mich so lange danach gesehnt, mal abgeschieden zu sein. Doch was das konkret heißt, hab ich mir ehrlich gesagt vorher nie so recht durchdacht. Noch im Laufe desselben Tages soll mir klar werden: befinde mich tatsächlich mitten im Nirgendwo.
Nun ist es so, dass ich mich für gewöhnlich bereits in der Wildnis fühle, wenn ich keinen Cappuccino bekomme (und das ist seit meiner Abreise aus Vancouver definitiv so; im besten Fall bringt mir eine vorsichtige Anfrage einen irritierten Blick ein, der mit Schulter zucken kombiniert ist und ungläubigen Worten wie Was soll das sein?) Aber diesen Maßstab lege ich hier natürlich gar nicht erst an – es gibt ein anderes untrügliches Zeichen dafür, dass ich mich praktisch kurz davor befinde, nicht mehr von dieser Welt zu sein: ich hab kein Handy-Netz.
Das sitzt! Und weil ein Unglück selten allein kommt: Internet kann ich mir gleich ganz abschminken. Falle in eine Art Schockstarre. Als ich langsam wieder zu mir komme, schießt mir die immer selbe Frage durch den Kopf: Wie soll ich so leben? Ohne Kontakt zu Familie und Freunden, ohne Zugang zum Online-Banking, ohne Zugriff auf Seiten zu Reiserouten, Verkehrsmittel, Unterkünfte, Jobbörsen... und letztlich auch ohne Möglichkeit zu bloggen. Muss mich damit auseinandersetzen, dass ich plötzlich unangeschlossen bin. Off-air, out of space, end of announcement!
Sonntag, 28. April
Das Gefühl, abgeschnitten zu sein, beschäftigt mich noch immer. Hätte es mich vielleicht stutzig machen sollen, dass von den Kanadier, denen ich in Vancouver von meinen Reiseplänen erzählt habe, nicht ein Einziger wusste, wer oder was Fraser Lake ist – geschweige denn wo. Hm? Jedenfalls soll dieses Highway-Kaff nun meine einzige Anbindung an die Zivilisation sein. Für die Hundert Seelen, die hier im Umkreis vieler Quadratkilometer leben, ist dieses Örtchen erste Andockstation.
Fraser Lake ist auch so eine staubig-schäbige Infrastrukturinsel für Fernfahrer. Für uns bietet sie aber den Zugriff auf das Nötigste zum Leben. Im Schellrestaurant des Motels gibt es sogar W-Lan. Yes! Yes, we can! Kleiner Wermutstropfen: Der Trip in die „Stadt“, wie mein Farmer sagt, dauert fast eine halbe Stunde mit dem Auto. Logisch, dass er da, wenn möglich, nur 1 Mal die Woche hin möchte. Aber hey, ist besser als gar nichts. Bin wieder im Spiel, ich lebe!
Montag, den 29. April
Nehme mit diesen Aussichten sogar klaglos hin, dass am nächsten Tag unerwartet der Strom ausfällt. Der Wind muss irgendwo einen Baum umgelegt haben, der auf die Leitung gefallen ist. Das passiere hier regelmäßig, erfahre ich, die Reparatur dauere aber höchstens ein paar Tage, manchmal sogar nur ein paar Stunden. Aha.
Schiebe jeden negativen Gedanken beiseite. Wofür braucht ein Ganzer Kerl schon Strom? Das wär doch gelacht! Trotzdem schluckt dann selbst der Naturbursche in mir, als ich checke: Wasser gibt’s genauso wenig. Die Pumpe unten im See ist halt auch auf Saft angewiesen. Zum Glück müssen wir am Ende nur einen Tag lang mit Eimern und Armkraft dafür sorgen, kochen, waschen und spülen zu können. Zumindest vorerst. Bin schon ein Abenteurer.
Übrigens, die Weiten die dieses Land aufweist, beeindrucken mich jedes Mal auf´s Neue. Dass ich nach der ganztägigen Bustour hier hoch – auf der ich praktisch mit 1000 Kilometern Fahrstrecke, Deutschland hätte so gut wie 1 Mal komplett durchqueren können – mich noch immer in der gleichen kanadischen Provinz befinde, hat ich ja schon mal erwähnt. Ein zweites eindrucksvolles Beispiel liegt mir nun mit dem Francois Lake jeden Tag vor der Nase: Dieser ist gut überschaubar eine gute Meile (rund 1,6 Kilometer) breit, dafür aber 86 Meilen lang. Eine Strecke mit der man von Potsdam locker bis nach Magdeburg käme, vielleicht sogar von Potsdam nach Leipzig. Kann das gerade nicht genau prüfen. Vielleicht erinnert sich der Eine oder Andere daran, dass ich eine gefühlte halbe Weltreise von google maps entfernt vor mich her vegetiere.
However, wer sich hier im Wald verläuft, kann schnell mal für immer weg sein. Jedes Jahr gehen hier Dutzende Menschen verloren, ohne dass jemals aufgeklärt werden kann warum bzw. dass ihre Leichen gefunden werden. Mein Reiseführer rät daher, möglichst nicht allein zu gehen. Und wenn doch, Jemandem die ungefähre Route zu hinterlassen. Mach ich! Bei aller Action, die ich hier suche, hab Respekt vor der Wildnis.
Da fällt mir ein, meine so herzzerreißend geschilderte und wunderbar wild anmutende Unangeschlossenheit muss ich leider schon nach den ersten paar Tagen ein wenig relativieren. Grund: Der einwandfreie Satelliten-Empfang für das Fernsehgerät. Schade eigentlich, irgendwie untergräbt das eine spannende Natur-Einsiedler-Geschichte.
Obgleich ich schnell versöhnt bin. Denn auf den über 600 Kanälen finde ich Movie-Channel, die jeden Tag mehrere aktuelle Blockbuster spielen, Sportkanäle, die alle Play-Offs der nordamerikanischen Profiligen ausladend präsentieren und sogar einen Spartensender, der morgen Mittag, das erste Halbfinalrückspiel der Champions-League live überträgt.
Gebe also zu, im Nirgendwo doch noch ´ne Menge von meiner angestammten Lebenswelt mitzubekommen. Nur ein richtig gut gemachter, schaumiger Cappuccino, der fehlt mir hier wirklich.
pomela - 7. Mai, 01:18