Dienstag, 30. April 2013

Snowboard & Bikini

In meiner Klischeekiste zu Kanada findet sich gleich neben den mächtigen Grizzlybären, einsamen Trappern und dem farbenprächtigen Indian Summer eine der härtesten Sportarten der Welt: Eishockey. Die Kanadier sind verrückt nach diesem temporeichen, körperbetonten Spiel. Mehrmals pro Woche treten die rauen Burschen, die so unglaublich kunstvoll Schlittschuh laufen können, in der nordamerikanischen Liga NHL gegeneinander an.

Die riesigen Arenen fassen gerne Mal 15-Tausend Zuschauer und mehr – und sind selbst unter der Woche rappelvoll. Klingt für mich nach ´nem unterhaltsamen Spektakel. Beschließe, mir ein Spiel live anzusehen - wenn ich schon noch in der Stadt bin, wenigsten ´n bisschen was Wildes.

Montag. 22. April
Gucke auf den Spielplan und ha, es steht sogar ein Spitzenspiel an: die Vancouver Canucks empfangen die Blackhawks aus Chicago. Beide Teams belegen einen Spitzenplatz in der besten Eishockey-Liga der Welt. Kurz vor den saisonentscheidenden Play-Offs dürfte die Partie für alle Beteiligten ein echter Gradmesser sein. Freue mich. Doch dann die Ernüchterung: bevor die Kerle nach dem Puck jagen, muss ich mich erst mal um ´n Ticket prügeln.

Natürlich nur im übertragenen Sinn. Aber ein Blick auf die Preise macht schon klar, hier geht´s ordentlich zu Sache. Das vergünstigste Vergünstigungsticket liegt bei 68 kanadischen Dollar. Nur bin ich leider kein behinderter Student, der eine Vereinsmitgliedschaft beantragen möchte. Die normalen Eintrittskarten beginnen je nach Platzkategorie bei 75, 90 bzw. 105 Dollar. Soviel will ich nicht ausgeben. Oder: soviel kann ich nicht ausgeben.

Fühle mich auf eine gewisse Art herausgefordert. Na das wollen wir doch mal sehen, ob ich da nicht auch günstiger reinkomme. Fühle mich mit einem As im Ärmel ausgestattet, weil mir der überaus freundliche Bankmitarbeiter, bei dem ich mein Konto eröffnet habe, als eingefleischter Canucks-Fan, der für 300 Dollar die Karte kaum ein Heimspiel seiner Mannschaft auslässt, den unbeschreiblichen guten Tipp gegeben hat: Komm einfach ´ne Viertelstunde nach Spielbeginn zum Stadion, dann verscheuern die Schwarzmarkthändler die Karten für´n Appel und ´n Ei. Genial, so mach ich´s:)

Lege mein Budget auf 20 Dollar fest und laufe pünktlich nach Spielanpfiff los in Richtung Rogers-Arena. Als ich dort knapp 20 Minuten später ankomme, versucht tatsächlich ein halbes Dutzend Händler, aufgeregt die letzten Karten an den Mann zu bringen. Zwei dubios aussehende Kerle entdecken mich zur gleichen Zeit, liefern sich ein kleines Wettrennen in meine Richtung. Wie viel Karten willst du, fragt mich der etwas Schnellere. Antworte, eine reicht mir, hab 20 Dollar.

Wie enttäuscht bin ich, als der eben noch auf mein Geld geifernde Typ mir daraufhin noch nicht einmal ´ne wütende Bemerkung entgegen schleudert. Da kommt nix. Keine Reaktion. Werde von einer Sekunde auf die andere ignoriert. Der Blick des Typen schweift schon wieder über den Vorplatz des Stadions. Ich bin Luft. Glaube, mehr Abfälligkeit geht kaum.

Auch bei den anderen Typen perle ich ab, wie Wasser an der Feder eines Blackhawks. Allerdings schaffe ich es hier und da schon mal bis in einen Disput. Wenn ich nicht mindestens 60 Dollar zahlen wolle, sollte ich lieber nach Hause gehen, raunt mir ein Dealer zu. Mit hochgezogenen Augenbraue weist er mich daraufhin, dass hier sei die NHL. Profi-Eishockey! Dankbar für diese aufklärenden Worte entgegne ich so schnippisch, wie es mein Englisch zulässt, dass ich zwar nur Amateur sei, in Mathe aber so gut aufgepasst hätte, zu wissen, dass die Tickets schon bald 0 Dollar wert sind. Meine 20 dagegen, die wären doch was.

Bin mir gewiss, die Zeit läuft für mich. Schließlich interessiert mich das Spiel aus sportlicher Sicht nur sehr bedingt, mir geht`s darum, überhaupt mal dabei gewesen zu sein, ein NHL-Stadion von innen erlebt zu haben. Und vielleicht auch ein bisschen, um einen beeindruckenden Blogeintrag tätigen zu können. Wie auch immer, stehe noch `ne ganze Weile vor der Stadionhalle – natürlich ohne mir meine Siegessicherheit anmerken zu lassen, will die armen Kerle ja nicht provozieren – bevor diese nach und nach verschwinden.

Das Match ist inzwischen zu mehr als der Hälfte vorüber. Einen der letzten Dealer, der noch immer Karten in den Händen hält, hör ich noch sagen: Ach, da steht ja noch der billige Junge. Dann zieht auch er von dannen. So viel dazu. Muss irgendwie an meinen Bankberater denken, und frag mich, ob ich vielleicht doch hätte BWL studieren sollen.

Eishockeyarena der Vancouver Canucks

Glas Bier im kanadischen Pub

Mein Abend endet übrigens in einer der zahlreichen Sportsbars rund um die Arena. Die Canucks feiern einen überragenden 3:0-Sieg. Für die 20 Dollar bekomm ich immerhin zwei kleine Bier. Aber die reichen Einem wie mir auch aus, um die Welt mit anderen Augen zu sehen. Bin mir nach dem ersten Glas schon sicher, dass ich hier auf ungezählten Großbildschirmen mit den zig Zeitlupen ja wohl mal viel professioneller gucken kann, als die die armen Gäste in dieser überdimensionierten Eishockeyhalle. Und überhaupt, nach dem zweiten Glas lege ich für mich sogar fest: dieser ganze Kommerz macht den wahren Sport doch kaputt. Bei so was will ich gar nicht mitmachen. So!

Oeffentliche Tennisplaetze

Übrigens, wo ich gerade bei körperlicher Ertüchtigung bin, zwei Fakten haben mich überrascht: Offizieller Nationalsport Kanadas ist nicht Eishockey, sondern Lacrosse. Und die meistbetriebenste Sportart der Kanadier soll Golf sein. Hört, hört! Naja, wer hat, der kann. Dafür hat mich beeindruckt, dass es hier viele öffentliche Tenniscourts gibt. Die liegen in besten Umgebungen, von urban bis idyllisch und dürfen kostenlos benutzt werden. Cool!

Ziemlich sympathisch find ich auch die Möglichkeit, sein Fahrrad mit dem Bus mitnehmen zu können. An der Frontseite ist eine Haltevorrichtung montiert. Mit ein paar einfachen Handgriffen können da bis zu drei Rädereingehängt werden. Das ist doch ein Service. Zumal die Security gleich inklusive ist, weil der Fahrer zwangsläufig immer einen Blick drauf hat:)

Linienbus transportiert Fahrrad

Überhaupt könnte sich hier so Mancher aus der BVG noch ´ne Scheibe abschneiden. Fahrgäste begrüßen – teilweise sogar mit Namen – und auch quer durch den Bus freundlich verabschieden, gehört unter den Busfahrern zum guten Ton. Selbstverständlich auch: noch mal anzuhalten, wenn ein potentieller Fahrgast zum Bus gerannt kommt, obwohl dieser schon halb losgefahren ist.

Dienstag, 23. April
Das Championsleague-Halbfinale zwischen Bayern München und dem FC Barcelona steht an. Wow, was für eine Partie! Ringe kurz mit mir und beschließe, dem Kommerz seinen ungeheuer schlechten Einfluss auf den Sport, für 2 Stunden mal nicht ganz so krumm zu nehmen.

Leider ist es schwieriger als gedacht, einen Pub zu finden, der dieses Spiel auch überträgt. Ich fasse es nicht. Diese Bars, die gefühlte 7 Tage die Woche von morgens bis abends irgendwelche unglaublich wichtigen Spiele aus NBA, MLB, NHL, NFL zeigen, auswerten, bis ins Kleinste analysieren und teilweise sogar wiederholen, diese Bars fanden ein für sie undefinierbares european soccer-match nicht sonderlich spannend – zumal ein Halbfinale.

Bayernjubel auf Pubmonitor

Mit ein wenig Überredungskunst und viel Augenklimpern bringe ich in einer Sportsbar im Lesben- und Schwulenviertel Westend, den Barkeeper dazu, in einem der hinteren Programm nach europäischen Fußball zu suchen. Klappt. Toll! Dabei dürfte mir die Tatsache geholfen haben, dass der Laden so gut wie leer ist. Es ist nämlich 11.45 Uhr am Vormittag. Durch die Zeitverschiebung fällt die Live-Übertragung auf eben diesen, für die Königsklasse des europäischen Fußballs ungewohnten, Tagsesabschnitt. Einziger Nachteil: Ein Bier will mir jetzt nicht so recht schmecken.

Dafür versüßen mir die Bayern den Tag, mit einem kaum in Worte zu fassenden 4:0-Sieg gegen die wohl beste Vereinsmannschaft der Welt. Überglücklich möchte ich mich nun selbst ein bisschen bewegen und entscheide, die Stadt auch außerhalb von Downtown ein bisschen zu Fuß zu erkunden. Bin mehrere Stunden unterwegs, mache Dutzende Fotos und freue mich, außerhalb des touristisch durchdrungenen Zentrums auch mal mit „Ureinwohnern“ Vancouvers ins Gespräch zu kommen.

Vorgarten und Holzhaus im ursprünglichen Stadtkern

Die freuen sich über meine schier unbändige Neugierde und plaudern viel vom „old Vancouver“, in dem wir uns gerade befinden. Find ich irgendwie witzig, nach dem ich in einem meiner Reiseführer gelesen habe, dass die Stadt insgesamt mehr oder weniger wohl erst vor rund 150 Jahren angefangen wurde, zu bauen. Dafür ist heute an jeder freien Ecke der Pazifik-Metropole eine Baustelle zu sehen - metertiefe Baugruben, die Fundamente für spätere Wolkenkratzer oder Rohbauten die bereits hoch in den Himmel ragen.

Baukräne ragen in Abendhimmel

Glasfassaden dominieren das weltbekannte Stadtbild. Am meisten beindruckt mich aber, wie viel unterschiedliche Gesichter Vancouver zu bieten hat. Mitten im Herzen der Metropole prallen mannigfaltige Gegensätze aufeinander: Dem Großstadtflair stehen schöne, wenn gleich ein wenig spießig anmutende Einfamilienhäuser aus Holz gegenüber, natürlich inklusive Veranda und gepflegtem Vorgarten. Obwohl ich zugeben muss, jetzt in der Kirschblüte, wirken diese Straßenzüge regelrecht erstrebenswert.

Im krassen Kontrast dazu zeigen sich die schmuddeligen Ecken Chinatowns sowie der historischen Gastown. Aber ich persönlich kann dem dort anzutreffenden morbiden Charme durchaus etwas abgewinnen. Außerdem werden die Betonschluchten im Stanley-Park um schroffe Natur ergänzt. Teilweise fühle ich mich dort tatsächlich wie im Urwald.

Und das in Vancouver Meer und Berge aufeinandertreffen, dürfte ich ja bereits schwärmend erwähnt haben. Doch nie ist mir das so eindrücklich gewesen, wie am Mittwoch, den 24. April. Die Temperaturen klettern schon zeitig am Tag auf frühlingshafte 20 Grad. Fahre eine Station mit der Metro. Da sitzen mir ein Typ und ein Mädel gegenüber. Sie im Bikini mit Strandkorb und Beachvolleyball, er mit Snowboard und Helm unter´m Arm. Wo gibt´s denn sowas - strange. Mist, dass ich ausgerechnet jetzt meine Kamera mal nicht dabei habe?

Flutlichtbestrahlte Skipiste hoch über Stadt

Unterschwellig, aber irgendwie doch stetig, such ich nach Motiven für aussagekräftige Actionfotos. Überlege kurz, später selbst im Strandoutfit auf die Skipiste zu gehen. Verwerfe die Idee aber, weil mir das dann doch ein wenig zu cool zu sein scheint. Die Piste hoch über der Stadt hat übrigens Flutlicht und ist jeden Tag bis 23 Uhr geöffnet. Um die Uhrzeit bin ich allerdings lieber in Downtown unterwegs, wo sich jeden Tag vor einem anderen Nachtclub Trauben von aufgedonnerten, lebenslustigen Menschen bilden. Und allen Kerlen unter Euch kann ich nur sagen – oh Mann, hier scheint ein echter Frauenüberschuss zu herrschen.

Strandabschnitt mit Palmen

Genieße mein selbstzubereitetes Abendessen als Picknick am Strand. Bei Sonnenuntergang. Werde plötzlich doch ein wenig traurig, dass ich inzwischen das Greyhound-Bus-Ticket gelöst habe, das mich morgen (Do., 25.4.) in den Norden von British Columbia bringen soll. Dort warten einsame Wälder und schroffe Gebirge mit vielen Seen. Da wird mir bewusst: ach, stimmt ja, deswegen bin ich ja eigentlich hier. Jetzt kann das Leben wirklich wild werden.

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