Sonntag, 26. Mai 2013

Der Gärtner und das Biest - Oder: Mein Techtelmechtel mit Gott

25. April bis 25. Mai – KW 17 bis KW 21

Was passiert, wenn ein Bürohengst einfach mal Farmer spielt und seine Computertastatur gegen Schaufel, Axt und Mistgabel tauscht? Richtig, er macht sich seine Stadthändchen kaputt. Hätte es also wissen können. Gucke dennoch ein wenig bedröppelt auf meine geschwollenen Pfoten.

Trotz der gewissenhaft gewählten Cowboy-Arbeits-Handschuhe aus bestem Rindleder sind die Aloe-Vera-Lotion-verwöhnten Enden meiner oberen Extremitäten übersät mit Blutblasen und kleinen Schnittwunden - die steifen Fingergelenke nur am Rande erwähnt.

Genau betrachtet, gibt es – so ziemlich auf den Tag genau einen Monat nach meiner Ankunft in diesem faulenzfeindlichen Ort – kaum eine Stelle an meinem Körper, die nicht irgendwie in Mitleidenschaft gezogen ist. Abgeschürfte Haut, schmerzende Sehnen, verspannter Rücken. Muskelkater sowieso! Und zwar in allen erdenklichen Partien. Eben jenen, die ich eher selten brauche, wenn ich 8 Stunden am Schreibtisch hocke, Texte tippe und einzig aufstehe, um mich in der Mittagspause, die Marathondistanz von 200 Metern, in die Kantine zu schleppen.

Doch der stichhaltigste Beweis städtischer Verweichlichung: Ich verzärtelter Akademiker schaffe es auch noch, mich hier im Blog über diese Wehwehchen gründlich auszujammernd. Na Bravo! Obwohl, Männer können sich generell ganz gut selbstbemitleiden. Sagen zumindest fiese Frauenzeitschriften. Hoffentlich fragt mich keiner, woher ich das weiß.

Erwecke jetzt vermutlich den Eindruck einer Heulsuse, die gelegentlich die Brigitte studiert. Mhh, da ist der Ruf doch schon so gut wie ruiniert. Spräche also nix dagegen, noch ´n bisschen weiter zu flennen. Ringe mich aber dazu durch, stattdessen alles erdenkliche zu tun, mein Image aufzupolieren (liebe Grüße in die Pokerrunde;)).

Ein kleiner heroischer Anstrich hat schließlich noch keiner Männergeschichte geschadet. Okay, allein mit malträtierte Muckis und blutende Bläschen lässt es sich nicht wirklich, wie soll ich sagen, auf den Spuren von Daniel Boone & Co wandeln. Aber ich könnte den Bericht über meinen Arbeitsalltag auf der Farm zumindest mit dem bisher spektakulärsten Teil beginnen. Here we go!

Um das Feuerholz für den langen Winter können sich die Einsiedler nicht früh genug kümmern. So fällt es in meinen Aufgabenbereich, wann immer gerade nix anderes ansteht, den garagengroßen Vorratsverschlag weiter aufzufüllen. Muss dafür erst mal die Baumstämme zerteilen. Und da kommt die KETTENSÄGE ins Spiel. Brust schwell.

Die ist nämlich nicht nur ohrenbetäubend laut, sondern auch saugefährlich. Mein Farmer berichtet, dass sich selbst erfahrene Lumberjacks immer wieder damit verletzen. Die benzinbetriebenen Säge entwickelt große Kräfte, verkantet sie, kann das Sägeblatt mit den drumherum rasenden Reißzähnen schnell mal unkontrolliert wegschnippen. Zumeist nach oben, in Richtung Kopf des darüber gebeugten Holzfällers.

Cliff nennt daher seine robuste Husqvarna-Säge respektvoll Das Biest. Furchteinflößender Name. Soll ihn stets an all die sorglosen oder durch Routine leichtsinnig gewordenen Freunde und Bekannte erinnern, die sich unglücklicherweise mit so einem Gerät schon verunstaltet haben. In einem Fall ist das halbe Gesicht samt Auge draufgegangen. Mich schüttelt´s.

Kettensaege und Schutzmontur

Ansonsten fällt die Einweisung recht knapp aus. Bin aber gewarnt und führe das Biest vorsichtshalber nur aus, wenn ich in kompletter Schutzmontur stecke. Dazu gehört auch eine Schutzmaske. Leider sieht die ziemlich albern aus. Lässt mich eher wie ein Imker erscheinen. Aber was tut man nicht alles, um beim Fernsehen arbeiten zu dürfen.

Dafür fallen die späteren Actionposen umso waghalsiger aus. Der Selbstauslöser macht´s möglich. Muss ja keinem verraten, dass die saugefährliche-superscharfe KETTENSÄGE dabei ausgeschaltet ist. Bin schon ein Draufgänger.

Actionpose

Das letztliche Holzhacken ist mit Abstand meine liebste Arbeit. Genieße die Axt. Mit ihr in der Hand fühle ich mich besonders männlich. Klingt vielleicht peinlich, ist aber so. Spalte manchmal stundenlang Klötze. Ein Workout der besonderen Art. Selbst wenn Schultern und Arme längst erlahmt sind, kann ich das formschöne Werkzeug nur schwer beiseite legen.

Holzhacken

Zum Aufhören zwingen mich meist erst die Schmerzen in den Hand- und Fingergelenken. Beim wuchtigen Aufprall der Axt werden Vibrationen ziemlich ungefiltert auf den Körper übertragen. Meine Knochen scheinen dafür irgendwann zu weich, zu sein.

Überraschend finde ich allerdings, wie viel Knowhow selbst in solche einfachen Arbeiten stecken kann. Hab mich anfänglich bei manchen Klötzen mit 50 Schlägen und mehr abgemüht. Die Tipps von Cliff ermöglichen mir inzwischen, einen Klotz auch in rund 10 Schlägen zu vierteln.

Relaxen vor Holzhaufen

Hilfreich ist etwa, das Holz zu lesen - also eventuell bereits vorhandene Risse zu nutzen -, unbedingt außen anzufangen und sich über die Mitte zur anderen Seite vorzuarbeiten sowie stets die gleiche Kerben-Tangente zu treffen. Mein Rekord liegt übrigens aktuell bei 6 Schlägen. Wenn das mal nicht zum Helden taugt.

Schade eigentlich, dass meine sonstigen Arbeiten dagegen ein ganz klitzekleines bisschen blass daher kommen. Nüchtern betrachtet, ist mein Alltag nämlich recht bäuerlich. Welch Wunder, bin ich doch ein WWOOFer (Willing Worker On Organic Farms) – also ein freiwilliger Arbeiter auf einer Biofarm.

Pflanzen in Gewaechshaus

Konkret heißt das: verdiene hier kein Geld, erhalte dafür aber Kost und Logis. Fairer Deal. Vor allem, weil das Essen richtig guter Stoff ist. Halt echt Bio. Neben selbstgepflückten Wildbeeren und Waldpilzen: frisch gefangener Fisch und natürlich selbstangebautes Gemüse. Gesund und lecker. Dreamteam! Mhhh!

Schild Blumenkohl

Aber, wie schon ein altes Sprichwort weiß: Wer das eine mag, muss das Andere mögen. Bevor wir schlemmen können, muss ich also pflücken, angeln, anbauen. Letzteres hat mich in den vergangen 3 Wochen die meiste Zeit gekostet. Oh Mann, so ein Gemüsegarten hat es in sich. Hätte nie gedacht, wie viel Aufwand da so drin stecken kann. Verhätscheltes Stadtbalg!

Gartentotale

Das über den Winter verwilderte Areal, inklusive kleinem Gewächshaus, vom meterhohen Gras zu befreien, ist da noch die leichteste Aufgabe. Im Feintuning dann aber alles Unkraut aus dem Boden zu pulen... uff! Hat mich 3 Tage Dauerbücken gekostet. Rückenschmerzen gratis.

Unkraut jäten

Den härtesten Fight übrigens liefern mir die Brennnesseln, die zielstrebig unter allen Beetumrandungen hervor wuchern. Unglaublich, wie ausufernd deren Wurzelwerk sich durch den Boden zieht. Robbe teilweise auf allen Vieren durch den Garten, um die blöden Enden dieser schier unendlich verzweigten Knäule mit meinen Händen frei zu schaufeln.

Sehe dabei bestimmt wie ein Nasenbär auf Nahrungssuche aus. Allerdings wie ein zunehmend aggressives Exemplar. Bloß gut, dass zu meinen wenigen Stärken die Hartnäckigkeit gehört. So meister ich irgendwann diese supermegamonströse Mammuthürde.

Frage mich kurz, ob es in der Liga der Superhelden schon einen Gardener gibt. Ein Adonis mit grüner Maske und Seidencape sowie magischem Wasserschlauch, auf dessen hautengem Naturfaserkostüm in Brusthöhe ein großes gelbes G prangt, das naturgewaltig wie ein unbändiger Löwenzahn aus der Erdoberfläche hervorbricht.

Mein inneres Auge ruft sich spontan selbst zur Räson! Ehrlichkeit währt am längsten, weiß ich von meiner Oma. Gestehe mir also trotz der Monsterbrennnesseln ein, meinen Status treffender mit GIA einzustufen – Gärtner in Ausbildung. Aber die Richtung ist klar, hoffe ich.

Mein erster Baum

Jedenfalls gleicht das anschließende Umgraben und Düngen einer Wellnesskur. Die ich noch mehr geschätzt hätte, wäre mir bewusst gewesen, dass mein Farmer für die nun dringend erforderliche Bewässerung die Leitung erst noch legen muss.

Zu den zentralen Eigenschaften dieses 60-jährigen Mannes scheint es zu gehören a) 1000 Sachen anzufangen und b) vor lauter offenen Projekten, so verzweifelt zu sein, dass er keinen Nerv hat, auch nur eine dieser Sache zu Ende zu bringen.

Hebe Bewässerungsgraben aus

Das macht mich verrückt. Vielleicht auch deshalb, weil mich das im Kleinen an mich selbst erinnert. Eine Unart, die ich an mir nicht leiden kann. Wenn ich nur an einen der unzähligen Versuche denke, den Keller auszumisten – läuft nämlich meistens nach dem gleichen, knapp am Ziel vorbeischrammenden Muster ab: Breite ganzen Kram – der locker reichen würde, um allein einen Antiquitätenmarkt aus dem Boden zu stampfen – aus und fange an. Das meint, ich fange an, jedes Teil einzeln in die Hand zu nehmen. Muss ja erst mal sortiert werden. Logisch, oder.

Suche dabei unterschwellig nach plausiblen Gründen, warum dieses und jenes auf keinen Fall einfach so wegfliegen darf. Lieber erst mal noch behalten. Vorsichtshalber. Nicht das ich das Zeug auf einmal doch ganz dringend wichtig brauche. Bin in dieser Disziplin mitunter ziemlich kreativ. Selbst bei Gegenständen, die ich seit einem gefühlten Jahrzehnt nicht mehr angerührt habe, oder vielleicht nicht einmal mehr wusste, sie überhaupt zu besitzen. Waschmaschinentrommelsicherungshalter, Holztennisschläger, Videorecorder. Aber könnte die Sachen ja schon morgen ganz doll dringend brauchen.

Leite dann oft geschickt in die zweite Phase über: bestimmten Kram auszuprobieren. Gegebenenfalls vorher noch zusammenbauen, in jedem Fall aber dann ordentlich Quatsch damit machen. Das bringt mächtig Spaß. Nur voran komm ich eher selten. Wenn kurz vor dem Abendessen der ganze Plunder über den Boden, die Werkbank, das Treppenhaus und Teile des Gemeinschaftsgartens noch wüster als je zuvor verteilt ist, überkommt mich die Wut. So eine Sisyphus-Aufgabe. Das ist ja gar nicht zu schaffen. Mann, mann, mann! Werf dann panisch den Krempel so schnell es geht zurück in den Keller. Nur um erst mal wieder ein bisschen Ordnung zu haben...
Wie auch immer, im Gegensatz zu manchen Zuständen hier auf der Farm, bin ich ein Musterknabe in Sachen Ordnung.

Weiß nun jedenfalls, warum Pipelineteile vor dem Zentralwasserhahn liegen. Nun gut, wozu bin ich jung und kräftig - wie lang kann´s schon dauern, die 40 Meter bis zu den Beetanlagen auf- und zuzubuddeln?

Buddel am Abend noch immer

Geschlagene 3 Tage später weiß ich es genau. Dazu die Gewissheit: Steine und Wurzeln sind die natürlichen Feinde der Schaufel. Was soll´s, Zähne zusammenbeißen! Und fürs Foto: Lächchchcheln:)

So langsam schimmert mir: Auch das einfache Leben kann mitunter ganz schön kompliziert sein!

Vollgematschte Arbeitsschuhe

Das Verblüffende: Diese Plackerei tut mir gut. Zugegeben, muss mich an den ersten Tagen schon überwinden, mich auf das ganze Setting einzulassen – diese vielen Provisorien, der Dreck, Mäuse in den Wohnräumen – erinnere Momente, in denen ich mich einfach nur nach Hause gewünscht habe, ins saubere Bett, zu meiner Süßen.

Aber ähnlich wie ich es aus einigen Ausdauersportarten kenne, kommt nach kleinen Startschwierigkeiten recht bald der Punkt, an dem ich realisiere: Hey, you´re on the road! Weiß dann: Bin auf mich selbst zurückgeworfen, es gibt kein zurück! Der Rest ist automatisiert. Schalt den Kopf aus und lass Dich auf Gegebenheiten ein! Egal wie widrig sie sind. Sei im Moment! Genieße ihn! Balsam für meine Seele.

Mit zunehmender Dauer steigt die Belastung, oft beginnen Leiden. Doch das hilft mir, mich besser zu spüren. Dazu der Wind auf den Wangen, die Schweißperlen auf der Stirn, die später unaufhaltsam über das ganze Gesicht rennen, manchmal in den Augen brennen und auf den Lippen einen salzigen Geschmack hinterlassen, während es im Mund leicht nach Eisen schmeckt, die sich weitaufblähenden Lungenflügel, das bummernde Herz... – rhythmisch treiben Muskeln die Maschine Mensch weiter voran, weiter, immer weiter. Nichts kann sie stoppen. Wie eine Dampflok: Schuk, schuk, schuk... – Schritt für Schritt, Tritt für Tritt, Zug für Zug. Fest im Blick die Etappe, das Ziel, das große Ganze.

Während mein Körper vor such hin rotiert, wird der Geist klarer und klarer. Die gleichmäßige Bewegung versetzt mich in Trance. Die surrende Kette, die aufsetzende Sohle oder das spritzende Wassers – es tritt langsam in den Hintergrund. Nehme selbst das eigene Schnaufen nur noch gedämpft wahr, bald gar nicht mehr. Eine unglaubliche Ruhe setzt ein. So stell ich´s mir im Auge eines Wirbelsturms vor. Um einen herum tobt die Urgewalt, doch was ich vernehme ist nichts als völlige Ruhe.

Bin gelassen. Die Gedanken schweifen. Wie im luftleeren Raum treiben sie, scheinbar in Zeitlupe und ohne willkürliche Richtung, einfach so umher. Bis sie sich unwillkürlich irgendwo einhaken. Aus dem tiefsten Inneren erheben sich Gedanken – Themen, die mir auf der Seele liegen.

Kann meinen inneren Dialogen lauschen. Auf einmal ist alles so klar wie ein Bergsee. Mit Gleichmut im besten Sinne, begegne ich den Dingen – egal wie tief ich in den Abgrund gucken muss, es mich schmerzt oder ich die Konsequenzen fürchte. In diesen Momenten bin ich eins mit Gott.

Körperliches auspowern hat für mich was Meditatives, was Inspirierendes. Es erfüllt meine Sehnsucht, mich mit mir auseinanderzusetzen. Wie ich das hier so aufschreibe, kapiere ich auch, was mich, seit dem ich denken kann, immer wieder antreibt meine Grenzen ausloten, warum ich Marathons renne, im Urlaub freiwillig Alpenpässe erklimme, mir beim Kickboxen die Nase blutig schlagen lasse, das Billard-Queue selbst nach einem mehrstündigen Turniertag nur ungern aus der Hand lege oder notorisch jedem erdenklichen Ball hinterher hechte: Scheine mächtig scharf auf Gott zu sein;)

Obwohl ich eigentlich mit Religion wenig am Hut habe. Echt! Aber mein Arbeitseinsatz hier auf der Farm, der in der Regel nach dem Frühstück um 8 Uhr beginnt und endet, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet – und der mir sporadisch erscheint wie abzuleistende Sozialstunden – hat für mich eine ähnlich spirituelle Ebene.

Vermute gar Parallelen zum Pilgern. Vor mir liegt ein langer, quälender Weg. Und weil der bekanntlich das Ziel ist (zahl die 5 Euro ins Phrasenschwein an dieser Stelle ohne Diskussion!) liegen meine Selbstanweisungen auf der Hand: Konzentriere Dich möglichst immer genau auf den nächsten Schritt, übe Dich in Demut und freue Dich über jede gemeisterte Aufgabe.

Wässere Pflanzen im Gewächshaus

Davon gibt es hier auf dem weitläufigen Hof übrigens mehr als genug. Die Hunderttausend angefangenen Projekte sind dem Farmer längst über den Kopf gewachsen. Der Berg angehäufter Arbeit, hat den armen Kerl vermutlich in depressive Stimmungsschwankungen getrieben. In gewisser Weise nachvollziehbar sind seine Perspektiven, sich da selbst rauszuziehen, nach einem schweren Autounfall vor einigen Jahren, stark geschwunden. Rücken und Nacken waren gebrochen, Cliff hat nur knapp überlebt. Für das, was er auf der Farm noch alles bauen möchte, dürften ihm schlichtweg Kraft und Zeit fehlen.

In Regenklamotte mit Farmer Cliff

Umso mehr Freude macht es mir, Cliff auf seiner „Baustelle“ vorübergehend eine Stütze zu sein, ihm vielleicht sogar eine kleine Anschubhilfe leisten zu können. Außerdem gibt mir das hier neben meiner übergeordneten, etwas abstrakten Suche nach mir Selbst auch einen konkreten, realen Sinn.

Es geht auch ordentlich vorwärts. Lustig das halb verwundert, halb erfreute Gesicht des liebenswert-schrulligen Farmers zu sehen, der kaum glauben kann, wie schnell manche Sache klappen können, wenn ein junger, eifriger, und entschlossener Mann einfach mal loslegt.

Repariere Holzterrasse

Bin generell die Haushaltsputze. Hab darüber hinaus aber schon Bäume gepflanzt, die der Feuerstelle in ein paar Jahren besseren Windschutz bieten werden, die von Schneelawine beschädigte Holzterrasse gerichtet, den Schornstein gesäubert, die Spüle repariert, Wassertanks regelmäßig nachgefüllt, Gras gemäht, Werkstatt und Lagerhallen gründlich aufgeräumt, Bretter gestrichen... Das alles natürlich auch bei Fritz-Walter-Wetter.

Gucke aus Wassertruck

Tja, und den Gärtner und Holzfäller in einer Person gebe ich ununterbrochen. Pflanzen, wässern, ernten und Holz hacken stehen quasi täglich auf dem Programm. Alles Weitere ergibt sich aus der Situation. Dabei hat sich mein größtes Ärgernis inzwischen Glücksgriff herausgestellt: War anfänglich vergrätzt, wenn Cliff einen Tag, an dem ihm Kraft, Motivation oder gleich beides fehlte, erst mal mit ´ner gepflegten Runde Fernsehen begonnen hat - ganz ungeniert – bevor er sich für einen seiner regelmäßigen Power-Naps noch mal in sein Bett zurückzieht. Inzwischen genieße ich es regelrecht, selbständig zu arbeiten.

Pflanze Bäume zum späteren Windschutz

Denn was eigentlich hinter solchem Groll steckt, ist weder die ausbleibende tatkräftige Unterstützung noch die fehlende Gesellschaft. Mir missfällt, keine Anweisungen zu haben. Der Grund: Muss Verantwortung übernehmen. Genau vor der will ich aber offen gesagt vorübergehend flüchten. Möchte mal für nix und niemanden verantwortlich sein. Außer eben für mich. Gewiss, das ist gesellschaftlich geächtet. Und es ist ein besonderer Luxus, sicher. Trotzdem, stehe dazu, möchte mal nur mit mir sein, einfach leben und Natur um mich haben. Allerdings brauch ich einen Häuptling, um Indianer zu sein. Dachte ich!

Das ganze Gegenteil ist der Fall: In dem Moment, wo ich eben nicht gesagt bekomme, was, wann, wo, wie am besten zu tun ist, muss ich für mich selber Entscheidungen treffen. Auch wenn es Aufgaben sind, die ich noch nie vorher gemacht habe oder nur wenig Erfahrung mitbringe. Und siehe da, die Ergebnisse sind durch die Bank weg gut, obwohl ich manches Mal ordentlich Lehrgeld zahle, Umwege gehen muss oder Dinge in den Sand setze. Trage die Konsequenzen – mit Freude!

Was so einfach klingt, fällt mir leider schwer. Warum? Weil ich immer alles perfekt machen, den Anderen zufrieden stellen, am besten noch dessen Erwartungen übertreffen möchte. Bekomme es etwa fertig, eine im Grunde abgeschlossene Sache (egal ob Fahrradreparatur, Fensterputz oder Filmproduktion) noch einmal genauso lange zu überarbeiten. Ein unverhältnismäßiger Feinschliff. Für den ich unnötig Kraft aufwende. Warum? Weil ich anscheinend auf Lob angewiesen bin. Warum? Weil ich mich sonst vielleicht schlecht selbst wert schätzen kann. Warum?...

...Warum auch immer, möchte solch undifferenzierten Mechanismen durchbrechen, möchte (mir zum Teil selbst auferlegte) Zwänge und Erwartungen an mich abstreifen, möchte mich meinen Ängsten stellen und sie hinter mir lassen. Kein Verdrängen mehr, kein Wegrennen. Das gelingt mir hier gerade. Wie gesagt, anfänglich witziger Weise Widerwillen.

Now, I´m on the road! Hab den Hof längst zu meinem eigenen Projekt gemacht. Und so lerne ich nicht nur viele praktische Dinge, sondern auch Neues über mich. Befürchte, erst jetzt richtig erwachsen zu werden. Habe Fehler wie jeder andere Mensch. Und die muss ich nicht krampfhaft verstecken. Ecken und Kanten sind okay. Everybody´s Darling dagegen ist ein vermessenes Ziel.

Finde es plötzlich gar nicht mehr so erstrebenswert, als Held dazustehen. Das Leben zu meistern, scheint mir Herausforderung genug. Einfach ein guter Mann zu sein! Korrigiere mich also auf MIA – Mann in Ausbildung.

Bin ein wenig stolz auf das, was ich mit meinen eigenen Händen und ´ner Schippe Selbstvertrauen zustande bringe. Hab mal gehört: Man findet Dinge am ehesten, wenn man nicht sucht. Stimme zu. In meinem Fall ein paar Erkenntnisse. Schöpfe Kraft.

Ist zwar manchmal ein schmerzlicher Prozess – auch völlig unvermittelte Tränen fließen – empfinde ihn aber reinigend. Am Ende wartet eine genauere Vorstellung davon, wer ich bin und wie meine Zukunft aussehen soll.

Okay, wer jetzt noch liest, ist kurz davor meinen sentimentalen Anflug überstanden zu haben. Respekt! Eher an mich selbst gerichtet, möchte ich abschließend zusammenfassen: Durch das gezwungenermaßen souveräne Arbeiten (wie paradox klingt das denn bitteschön) verbringe ich hier oft Zeit nur mit mir, meinen Gedanken und körperlicher Anstrengung – Momente, in denen ich tiefes Glück und Freiheit fühle.

Setze Kartoffeln

Das Gärtnern erdet mich buchstäblich. Herrlich, diese feuchte Kühle auf den Handflächen beim Durchwühlen der nährstoffreichen Beete. Behaglich, der leicht süßliche Harzgeruch frisch gesetzter Fichten. Ergreifend, das Geräusch berstender Holzscheite.

Gesplitteter Holzklotz

Mir wird mehr oder weniger sinnlich vorgeführt, wie meine Innen- und Außenwelt einander spiegeln. So hab ich eine andere Perspektive auf meine Situation gewonnen. Was ich noch vor wenigen Wochen als unangeschlossen empfunden habe, sehe ich heute eher als unangekettet – also unchained. Howgh, ich habe gesprochen!

Unter dem Strich lernen Cliff und ich voneinander. Er bemüht sich Pläne zu machen, Aufgaben zu priorisieren, Listen zu schreiben, sich von Sachen zu trennen und Arbeiten konzentriert zu Ende zu bringen. Ich lerne Spuren lesen, Wetterumschwünge einschätzen, gesünder Kochen, auch mal fünfe gerade sein zu lassen und trotz allem auch etliche handwerkliche Kniffe.

Axt nah

Einzig mein zarter Stadtkörper findet das wilde Werkeln ein wenig zu ambitioniert. Blicke noch immer verlegen auf meine geschundenen Hände. Doch die letzten 2 Stunden dürften sie sich ganz gut erholt haben – schließlich fühlen sich die Finger eines Bürohengstes auf der Computertastatur fast wie zu Hause.

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